Leseprobe: Two of us – Außer Kontrolle –

KAPITEL 1

Wie jeden Morgen kurz vor den Achtuhrnachrichten steht Alexa im Badezimmer vor dem Spiegel und legt ihr Ma- ke-up auf. Die Samstage und Sonntage ausgenommen. Denn seit die Kinder aus dem Haus sind, genießt es Alexa, die Wochenenden mit einem späten Frühstück zu beginnen und das Mittagessen aus- fallen zu lassen. Jetzt schneidet sie eine Grimasse und mustert sich im Spiegel. Sie ist keine Zwanzig mehr, die Dreißig hat sie längst hinter sich gelassen und eine dicke Vier weist auf ihre Altersgruppe hin. Die ersten winzigen Fältchen graben sich langsam, aber sicher einen Weg in ihre sonst makellose Haut, wenn sie, wie jetzt, die Mundwinkel nach oben zieht und ein Lächeln ihre Augen erstrah- len lässt. Mimikfalten nennt ihre Freundin Christabel die dünnen Linien. Aber Alexa weiß es besser: Das Alter beginnt, sich in ihren Körper und ihr Gesicht zu schleichen. Erst gestern hat sie doch tat- sächlich das erste graue Haar an ihren Schläfen entdeckt. Vielleicht waren es auch zwei oder drei. Alexa hat nicht lange gezögert und sie mit einem erhabenen Lächeln einfach herausgezupft. Sie strahlt immer noch eine Attraktivität aus, um die sie viele ihrer Freundin- nen beneiden. Trotzdem benutzt sie schon seit einiger Zeit mehr als nur ihren dezenten Lipgloss und schwarze Mascara, mit der sie ihre dünner gewordenen Wimpern wieder in Form bringt. Seit sie die 40 überschritten hat und die 50 in greifbare Nähe rückt, war das nicht mehr genug. 50! Aber was bedeuten schon Zahlen? Zufrieden lächelt sie ihr Spiegelbild an.

Ihr Mann Marc hat heute früher das Haus verlassen und ist zu einem Termin bei Gericht gefahren. In letzter Zeit ist er immer häufiger unterwegs. Wenn er dann abends nach Hause kommt, wirkt er abgespannt, müde und ist mit seinen Gedanken meist noch bei einem seiner Klienten. Alexa weiß aus Erfahrung, dass sie ihn dann nicht auf unangenehme Themen ansprechen darf. Selbst ihre Versuche, mit ihm auf Kuschelkurs zu gehen, blieben in den letzten Monaten oft erfolglos. Doch aufgeben kommt für Alexa nicht in Frage. Auch wenn die Situation sie frustriert, weiß sie, dass sie Mittel und Wege finden wird, ihren Mann zurück- zugewinnen. Der Sprecher im Radio sagt einen wunderschönen Frühlingstag mit einer Regenwahrscheinlichkeit von null Prozent voraus, was Alexa wieder an das Golfmatch erinnert, zu dem sie mit Marc und Freunden am Abend verabredet ist. Und Marc hat ihr versprochen, dass er heute nicht zu spät nach Hause kommen wird. Wie oft hat er diesen Satz schon zu ihr gesagt und sich doch verspätet, denkt sie wehmütig und lässt den Lippenstift wieder in die Kosmetiktasche gleiten. Alexa hat es zwischenzeitlich auf- gegeben, ihm deswegen Vorwürfe zu machen. Er ist ein schwer- beschäftigter Mann, der seinen Beruf als Anwalt ernst nimmt. Seit er in die große Kanzlei mit einsteigen konnte und damit die Chance ergriffen hat, sich beruflich und auch gesellschaftlich ei- nen Namen zu machen, hat sich vieles in Alexas und Marcs Leben verändert. Alle haben sie davon profitiert. Besonders die Kinder.Die Zeitansage im Radio holt Alexa in die Realität zurück. Entschlossen zieht sie sich die Pumps über, schnappt sich ihre leichte Sommerjacke und verlässt das obere Stockwerk. Ihre Absätze klackern auf dem dunklen Marmorboden, der den Ein- gangsbereich bedeckt, während sie nach ihrer Tasche und den Autoschlüsseln greift und das Haus verlässt. Auf dem Weg zur Redaktion kommt ihr wieder das Gespräch in den Sinn, das sie gestern mit ihrem Chef geführt hat. »Warum übernimmst du nicht die Kolumne für Haus und Garten?«, hatte er sie ganz offen gefragt.Haus und Garten! Hielt er sie für zu alt für die Rubrik Lifestyle?

Musste eine jüngere Kolumnistin her? Stand sie vielleicht schon in den Startlöchern? Schließlich hatte Lance nicht umsonst vor einem halben Jahr Heather zur Unterstützung für Alexa einge- stellt. Eine Aufgabe, die die junge und ambitionierte Frau von Beginn an mit Bravour gemeistert hat. Und doch denkt Alexa gar nicht daran, ihre Kolumne aufzugeben und ihr Lebenswerk einer Jüngeren zu überlassen.Lance hatte ihr vor zehn Jahren selbst die Lifestyle-Kolumne angeboten und sie so zur Daily Post gelockt. Der Erfolg gibt bei- den Recht. Alexas Artikel sind populär, und für die Leser nicht mehr wegzudenken. Trotzdem sind die Auflagezahlen der Zei- tung in letzter Zeit geschrumpft. Liegt das auch an ihren Texten? Haben sie nicht mehr genügend Aktualität oder Esprit, die Leser zu fesseln? Warum muss sie immer an ihrem Können zweifeln? Die Kolumne ist Alexas Baby und sie wird sie behalten. Punkt! Wer hat denn die ganzen Kontakte zur Szene? Alexa!Warum Heather überhaupt mit ihrem hervorragenden Ab- schluss in der Tasche hier unten in Florida Fuß fassen will, ist Alexa ein Rätsel. Sie könnte überall bei den großen Zeitungen unterkommen. Aber Heather hat sich für die Daily Post entschie- den. Nur wenige Minuten in Lance‘ Büro und schon waren sich ihr Chef und Heather einig. Weiß der Teufel, warum. Sie hat eine Chance verdient, aber keine, die Alexa schadet.Innerlich aufgewühlt hätte sie fast die rote Ampel übersehen und eine Passantin angefahren, die in letzter Sekunde auf den Bürgersteig springt und fürchterlich zu schimpfen anfängt. Alexa rollt nur die Augen und murmelt eine Verwünschung, bevor sie sich mit einem Lächeln bei ihr entschuldigt. In diesem Moment klingelt ihr Handy. Es ist ihre Tochter, die genau wie damals Al- exa, in New York Journalismus studiert.»Hi Schatz.«»Hi Mom. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dieses Wochen- ende nicht nach Hause komme. Ein paar Leute aus der Uni fah- ren nach Rhode Island hoch.«
»Und da willst du natürlich mitfahren.«
»Ja, ist doch kein Problem für euch, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Mach dir ein schönes Wochenende.« »Wir sehen uns dann spätestens zu eurer Silberhochzeit. Bisdahin ist es eh nicht mehr lange. Ich weiß nicht, ob ich es noch schaffe, vorher zu euch zu kommen. Ich hab noch viel aufzuar- beiten, weißt du?«Alexa kommt es vor, als wollte sich Toni rechtfertigen, aber das muss sie nicht. Sie lebt jetzt in New York, hat dort neue Freude gefunden und in erster Linie zählt nur ihr Studium. Al- les okay!»Mach dir keine Gedanken Schatz, wir verstehen das.«Alexa zögert kurz, ihrer Tochter anzubieten, nächstes Wo- chenende zu ihr nachNew York zu kommen, verwirft diesen Gedanken aber schnell wieder. Toni ist erwachsen und muss ihr eigenes Leben führen, auch wenn es Alexa schwerfällt, loszulassen.»Wir haben hier sowieso alle Hände voll zu tun.«»Habt ihr denn jetzt eigentlich ein Event für euren beson- deren Tag geplant?«»Nicht wirklich. Dein Dad hüllt sich noch in Schweigen. Er will sich um alles kümmern und mich damit überraschen.«»Oh mein Gott. Wenn Dad sich um die Silberhochzeit kümmert, dann kann da nichts Gescheites rauskommen. Ihr solltet Heather damit beauftragen. Ich finde, sie hat ein Händ- chen dafür, tolle Partys zu planen.«»Ach weißt du, vielleicht fahren dein Dad und ich auch einfach für ein paar Tage weg.«»Das könnte euch so passen. Einfach ab durch die Mitte, was?« Toni lacht und Alexa wechselt das Thema, bevor ihre Tochter sich noch weiter einmischen kann.»Hast du was von deinem Bruder gehört?«
»Mitch?«
»Ja, ich wüsste nicht, dass du einen weiteren Bruder hast.«
Alexa muss grinsen.
»Nö, nur gesehen. Er hat mir ganz stolz ein Foto von sichvor der Harvard Uni geschickt.«
»Dann bist du uns einen Schritt voraus«, sagt Alexa wehmütig. »Er wird sich schon melden, Mom. Spätestens, wenn ihmdas Geld ausgegangen ist«, ulkt Toni. Sie war schon immer die Schlagfertigere von den Zwillingen, Mitch der feinfühlige und ruhige Typ. Und gerade deshalb ist Alexa immer ein wenig in Sorge um ihn.»Er hat sich eben viel vorgenommen.« Alexa ergreift automa- tisch Partei für ihren Sohn. Sie liebt beide Kinder, aber Mitch war im Geheimen immer ihr Liebling. Dafür konnte Marc Toni nie einen Wunsch abschlagen.»Mag sein. Mitch war ja schon immer ein Perfektionist.« »Bist du jetzt nicht ungerecht?«
»Du, Mom ich muss los. Wir sehen uns ja bald. Ciao.« »Ciao Süße.«Hi, ciao, eine Absage, das war alles. Für einen Augenblick ist es wieder da: dieses Gefühl von Verlust. Doch das wird vergehen. Ganz sicher wird es vorbeigehen. Toni und Mitch leben jetzt ihr eigenes Leben, an dem Alexa und Marc nur noch begrenzt teil- haben werden. Wieder drängt sich das Gefühl in Alexa auf, nicht mehr gebraucht zu werden, alles im Leben erreicht zu haben, so dass es nur noch bergab gehen kann. Aber das darf es nicht. Nicht bei ihr und Marc. Die meisten ihrer Freunde sind längst geschieden, haben Verhältnisse oder leben nur noch nebeneinan- der her, weil es bequem ist. Bequem! Ist es bei ihr und Marc auch nur bequem und zur Gewohnheit geworden? Nicht zum ersten Mal denkt sie über diese Frage nach. Wann hatte sie das letzte Mal Sex mit ihrem Mann? Wann haben sie mal etwas Verrücktes getan? Ihr Leben ist durchorganisiert und geplant bis ins letzte Detail. Die Treffen mit ihren Freunden in einer der schicken Bars hier im Süden von Florida, sind schon lange zur Gewohnheit geworden. Von den Dinnerverabredungen will sie gar nicht reden. Meistens sitzt sie dort mit Geschäftskollegen ihres Mannes an einem Tisch und führt langweilige Konversation. Wo ist die Zweisamkeit für Alexa und Marc geblieben?
Als hätte ihr Mann ihre Gedanken gehört, vibriert ihr Handy. »Hi Schatz«, begrüßt sie ihn.
»Hi, ich wollte mich nur kurz bei dir melden. Ich werde heu-te den ganzen Tag unterwegs sein oder in Terminen stecken«, teilt er ihr mit.»Okay, aber vergiss nicht, wir sind heute Abend mit William und Christabel zum Golfspielen verabredet.«»Ich weiß, dabei passt es mir heute eigentlich überhaupt nicht.«»Wann passt es denn mal bei dir?«, fragt Alexa vorwurfsvoll. »Weißt du, wie sehr ich mir die Zeit zurückwünsche, als wir uns kennenlernten?«»Was soll das jetzt, Alexa?«»Ach, ich würde nur einfach gerne wieder mal mit dir zu einem Baseballspiel der Golden Eagles gehen und alte Zeiten he- raufbeschwören. Du kannst dich doch sicher noch erinnern?«»Natürlich, wie kannst du nur fragen? Bei einem Baseball- spiel fing alles an. Die Cola, die du mir beim Jubeln über die Hose gekippt hast, klebt heute noch.«»Und dann schauten wir uns nur in die Augen«, erinnert sich Alexa. »Ich stammelte irgendeine Entschuldigung und eine Stun- de später saßen wir zusammen in einer Bar am Strand.«»Vorher hast du aber noch wie wild auf dem Fleck herumgewischt.«»Weißt du, von diesem Moment an wusste ich, dass du mei- ne große Liebe warst und es immer noch bist.«»Und jetzt denkst du, dass ich dich nicht mehr liebe, nur weil ich beruflich sehr eingespannt bin?«»Nein, aber die Zeit hat vieles verändert. Wir sind älter und reifer geworden, vielleicht auch ein wenig weiser und nicht mehr so verrückt und unternehmungslustig, wie wir es damals waren Aber warum eigentlich?«
»Weil wir Verantwortung übernommen haben«, sagt Marcnüchtern.
»Aber wir sind doch noch nicht zu alt, um etwas Verrückteszu tun. Warum sollten wir jetzt nicht noch einmal durchstar- ten, uns auf neue Abenteuer einlassen. Schau, die Kinder sind aus dem Haus, wohnen sogar in einer anderen Stadt und haben ihr eigenes Leben. Warum sollten wir nicht mal wieder in einen Club tanzen oder einfach wie früher zu einem Rockkonzert fah- ren? Hm, was meinst du?«»Ist es das, was du dir wünschst? Warum hast du das noch nie gesagt?«»Vielleicht, weil ich dachte, du könntest selbst mal auf die Idee kommen. Weißt du eigentlich, wann wir das letzten Mal Sex hatten.«Marc schweigt eine gefühlte Ewigkeit.»Siehst du. Es fällt dir beim besten Willen nicht ein«, hält Alexa ihrem Mann vor.»Weißt du es denn?«
Jetzt ist es Alexa, die sich in Schweigen hüllt.
»Okay, genau weiß ich es auch nicht. Aber wenn wir wenigs-tens in diesem Punkt fantasievoller wären, könnte ich über die wenigen Male hinwegsehen. Oder siehst du das anders?«»Alexa, denkst du nicht, wir könnten diese Diskussion auf später verschieben?«»Tut mir leid. Natürlich, aber wann hast du denn mal Zeit für ernste Diskussionen?«»Heute Abend, versprochen. Also bis später.«Marc verabschiedet sich abrupt und Alexa geht ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf: Es muss sich etwas ändern! Irgendetwas muss passieren, und zwar bald!Als sie an einer Plakatwerbung für einen Urlaub an einem tropischen Strand vorüberfährt, weiß sie auch schon genau, wie sie ihren Mann wieder ins Boot holt. Sie wird mit Marc für einp aar Tage wegfahren. Vielleicht ein Urlaub auf den Bahamas? Alexa beschließt, diese Idee weiter zu verfolgen und Marc später darauf anzusprechen. Vielleicht könnte sie sogar in der Mittagspause kurz zum Reisebüro rübergehen oder im Internet nach einer schönen Reise recherchieren. Mit diesen Gedanken hellt sich ihre Stimmung sofort wieder auf.
Vor dem Zeitungsverlag wird gerade eine Parklücke frei, so- dass Alexa wenigstens in diesem Punkt heute Glück zu haben scheint. Sie schnappt sich ihre Tasche und ihre Jacke und läuft durch das Treppenhaus in den zweiten Stock.»Guten Morgen, Alexa. Kann ich dich gleich in meinem Büro sprechen«, wird sie von ihrem Chef begrüßt, der im Türrahmen steht und Alexa hereinkommen sieht.»Natürlich Lance.«Sie stellt ihre Tasche neben ihren Schreibtisch, zieht sich den Bleistiftrock in Form und schreitet mit erhobenem Kopf durch die Glastür in das Büro von Lance Hanson. Er ist der Herausge- ber der Zeitung und ein gerissener Fuchs, wenn es darum geht, hinter einer Story herzujagen und außerdem ein guter Freund von Alexa und Marc.»Setz dich doch.«»Lance, wenn du noch einmal auf unser Gespräch von ges- tern …«Lance hebt abwehrend die Hände.»Nein, nein, darum geht es nicht. Vergiss es einfach. Es war nur so eine Idee von mir.«»Eine blöde Idee.« Diesen kleinen Hieb kann sich Alexa nicht verkneifen. Jetzt lächelt sie Lance an und nimmt ihm gegenüber Platz.»Ja, du hast Recht. Aber um auf das eigentliche Thema zu- rückzukommen. Was hältst du von einer Serie über Paare und deren Verhaltensweisen beim Sex, ihre Vorlieben und Gewohn- heiten und so weiter? Ich denke, das ist ein aktuelles Thema, das die Auflagenzahl wieder in die Höhe treiben könnte.«
»Ja, warum nicht. Hast du schon konkrete Vorstellungen, wie wir vorgehen wollen?«
»Nein, ich bin da ganz offen und überlasse gerne dir die Entscheidung. Denkst du, du kriegst das hin?«»Warum sollte ich nicht. Glaubst du, nur weil ich 48 bin, habe ich keine Ahnung mehr, was nachts zwischen Mann und Frau im Schlafzimmer passiert?«»Genau das ist der Punkt. Sex findet doch nicht ausschließ- lich im Schlafzimmer statt.«»Lance, das war eine Metapher. Musst du jedes Wort von mir auf die Goldwaage legen? Natürlich weiß ich das.«»Alexa versteh mich nicht falsch. Ich will dir nicht zu nahe treten. Aber es werden einige Recherchen nötig sein. Wenn wir das groß aufziehen wollen, sollten wir auch in die speziellen Clubs gehen und versuchen, einige Interviews zu bekommen. Das ist es doch, was die Leser interessiert. Sex mal anders, au- ßerhalb des Schlafzimmers.«»Gute Schlagzeile, Lance.«»Danke. Wie gesagt, hier müsstest du genau in dieser Rich- tung recherchieren. Ich weiß nicht, ob du dir das zutraust. Und dann denke ich auch an Marc.«»Was soll diese Frage? Und was hat Marc damit zu tun? Ich mache doch nur meinen Job. Das heißt doch noch lange nicht, dass ich diese Erfahrungen am eigenen Leib machen muss, oder?« Alexa lacht auf, bevor sie weiterspricht. »Ich bin Journa- listin und verstehe mich ausgezeichnet darauf, Informationen aus meinen Gesprächspartnern herauszulocken.«»Tut mir leid, so war das nicht gemeint. Ich wollte dich nicht herabsetzen, das weißt du. Und ja, du bist eine fabelhafte Journalistin. Ich wollte dich nur nicht in eine unangenehme Lage bringen, das war alles.«»Du wolltest Heather den Job anbieten!« Das war keine Fra- ge, sondern eine Feststellung.Alexa starrt ihren Chef erwartungsvoll an. Im Raum ist es plötzlich so ruhig geworden, dass man eine Stecknadel hätte fal- len hören können. Wieder ist es da, dieses Gefühl nicht mehr ge- braucht zu werden, den Herausforderungen, die das Leben stellt, nicht mehr zu genügen. Kurzum: zu alt zu sein.
Lance zuckt nur mit den Schultern, bevor er antwortet.»Der Gedanke lag schon nahe. Sie ist ehrgeizig und heiß auf einen großen Auftrag. Ich spüre doch, wie gerne Heather sich beweisen würde, indem sie selbst eine Story schreibt und nicht immer in deinem Schatten steht. Aber ich möchte die Entschei- dung natürlich nicht ohne deine Meinung dazu fällen.«»Lance?« Der ängstliche Unterton ist deutlich aus Alexas Stimme herauszuhören.»Ja?«»Nimm mir die Kolumne nicht weg. Ich werde wieder besse- re Beiträge schreiben. Versprochen.«»Alexa, davon kann doch überhaupt keine Rede sein. Deine Beiträge waren nie schlecht. Es lag nicht an dir, dass die Auflagen- zahl gefallen ist. Es liegt an der Konkurrenz.«»Danke.«
»Wofür?«
»Für deine Ehrlichkeit und Offenheit.«
»Hey, wir sind Freunde, oder hat sich da in letzter Zeit ir-gendetwas geändert, das ich nicht mitbekommen habe?«
»Nein und im Übrigen freue ich mich schon auf die Recher- che. Was hältst du davon, wenn ich die Serie mit Heather zusam-men angehe? Sozusagen als gleichberechtigtes Team?«
Jetzt muss Lance lachen.
»Das finde ich ausgezeichnet. Sie kann noch viel von dirlernen.«
»Weißt du …«, Alexa unterbricht sich kurz in Gedanken, be-vor sie weiterspricht. »… Heather ist in den letzten Monaten eine wirklich gute Freundin geworden, nicht nur von mir, sondern auch von Marc. Ich habe fast das Gefühl, sie sieht in uns so etwas wie ihre Mentoren, die sie unter die Fittiche nehmen und denen sie sich anvertrauen kann. Auch aus diesem Grund möchte ich natürlich, dass Heather ihre Chance bekommt.«
»Gut, ich lasse dir die Unterlagen gleich rüberbringen. Du und Heather, ihr macht das schon.«»Worauf du dich verlassen kannst. Die Auflagenzahl wird wieder steigen; das verspreche ich dir.« Sie steht mit einem Lä- cheln auf dem Gesicht auf und verlässt das Büro. In der Tür dreht sie sich noch einmal um und funkelt Lance vermessen an.»Lance?«
Der Redakteur schaut auf.
»Hast du etwa gedacht, ich würde ablehnen?«
Lance zuckt die Schultern. »Vielleicht«, antwortet erzurückhaltend.
»Bring mir die Unterlagen, um den Rest kümmere ich michschon.«
»Genauso kenne ich dich.«Zwei Meetings, drei Tassen Kaffee und etliche Telefongespräche später eilt Alexa über die stark befahrene Straße zum Reisebüro, in dem ihre Freundin Patricia zweimal die Woche arbeitet.Alexa betritt den Laden und sieht Patricia hinter ihrem Schreibtisch sitzen. Sie telefoniert, wie so oft und hämmert un- geduldig auf ihre Tastatur ein. Dabei signalisiert sie Alexa, schon mal Platz zu nehmen.»Guten Tag Mrs. Freeman«, wird Alexa von einer weiteren Mitarbeiterin begrüßt, die gerade den Raum betritt.»Guten Tag, Amanda.«
»Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen?«
»Ein Wasser wäre schön. Ich hatte heute Morgen schon zuviel Kaffee«, gesteht Alexa und lächelt die Mitarbeiterin freund- lich an.»Sehr gerne.« Damit verschwindet die Brünette wieder im Hinterzimmer, um kurz darauf mit einem Glas Wasser zurückzukommen.Mittlerweile hat auch Patricia ihr Gespräch beendet und legt den Hörer auf.

»Puh, was manche Leute für Vorstellungen haben, was ein Urlaub kosten soll«, sagt sie lächelnd und schüttelt ihren perfekt frisierten Kopf.

»Hast du etwas Schönes für uns gefunden?«, fragt Alexa an ihrer Freundin gewandt.

»Oh ja, ich habe mich gleich nach unserem Telefongespräch heute Morgen dahinter geklemmt und dir hier alles ausgedruckt. Am besten schaust du die Unterlagen mit Marc durch. Es ist auch eine dreiwöchige Reise quer durch Europa dabei oder das hier …« Sie blättert die Ausdrucke durch und schiebt Alexa das Angebot über den Tisch. »Hier, sieh dir das mal an, … haben wir ganz neu reinbekommen. Eine Kreuzfahrt auf einem Luxusdampfer an der Küste von Südamerika bis nach Feuerland«, schwärmt sie. »Ich hätte aber auch noch etwas ganz Spezielles. Was hältst du von einem Urlaub in einem Eishotel oben in Alaska?«

»Du machst Witze«, sagt Alexa und verschluckt sich fast an ihrem Wasser. »Meinst du, ich könnte Marc für drei Wochen aus der Kanzlei loseisen? Und Kälte hasst er, das weißt du doch. Wa- rum sind wir wohl nach Florida gezogen?«

»Dann vielleicht das hier.« Wieder zieht sie einen Aus- druck aus dem Stapel. »Wie wäre es mit einem Landhaus in der Toskana?«

Jetzt scheint Patricia Alexas Interesse geweckt zu haben. Sie überfliegt den Text.

»Das könnte mir schon gefallen. Marc und ich mal ganz al- lein und weit weg von seinen Klienten.«

Wieder klingelt Patricias Telefon. Sie zuckt bedauernd mit den Achseln und nimmt das Gespräch an. Alexa signalisiert ih- rer Freundin, dass sie wieder losmuss. Sie winkt Patricia zu und verlässt das Reisebüro. In einem kleinen Deli kauft sie sich ein leckeres Baguette, bevor sie sich wieder hinter ihrem Schreibtisch verkriecht, um einen Artikel fertig zu schreiben.